Geschichte Raum geben

  • Einleitung
  • Leichte Sprache
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Die sogenannte flächendeckende und lückenlose »erbbiologische Bestandsaufnahme« und Überprüfung war auch in Lüneburg die grundlegende Voraussetzung für die Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Hierbei wurde nahezu jede/r hinsichtlich seines »Erbwertes« erfasst und überprüft. Die Erfassung konnte über verschiedenste Wege erfolgen, und in kaum einen Lebensbereich wirkten die »erbbiologische Bestandsaufnahme« und die Prüfung der »Erbtauglichkeit« nicht hinein. Systematisch erfasst und überprüft wurden alle:

  • Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg, der örtlichen Kinderheime und Fürsorgeeinrichtungen,
  • Hilfsschülerinnen und -schüler (Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ) sowie Schüler, die aufgrund schlechter Noten/Sitzenbleibens bei Schuluntersuchungen der Lüneburger Amtsärzte und bei Lehrkräften auffielen,
  • Heiratswilligen (bei der Ehetauglichkeitsprüfung),
  • Wehrpflichtigen (bei Feststellung der Wehrtauglichkeit),
  • Ehepaare, die ein Ehestandsdarlehen beantragten,
  • Eltern, die Kinderbeihilfe beantragten,
  • Eltern ohne Trauschein,
  • Mütter mit Kindern verschiedener Väter,
  • Untersuchungshäftlinge, die sich im Gerichtsgefängnis befanden,
  • Opfer von Missbrauch und Vergewaltigung,
  • Sinti und Roma,
  • Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter,
  • »Landstreicher« bzw. wohnungslos Gemeldete,

sowie all jene, aus deren Familie Suizid, eine psychische bzw. neurologische Erkrankung, Bettnässen, Alkoholismus, Inzest, Langzeitarbeitslosigkeit oder »Bummelantentum« bekannt war und all jene, die aufgrund laufender Sterilisationsverfahren von Angehörigen oder Verlobten für das Lüneburger Gesundheitsamt identifizierbar waren.

Mindestens 19 Zwangssterilisierte gerieten aufgrund eines Antrages auf Kinderbeihilfe ins Visier des Gesundheitsamtes und wurden sterilisiert. Die Ehetauglichkeitsprüfung führte für 19 weitere in die Sterilisation. Mindestens vier Lüneburger Fälle sind bekannt, in denen ein Antrag auf Ehestandsdarlehen eine Zwangssterilisation zur Folge hatte.
Die Diagnosen, die das Lüneburger Erbgesundheitsgericht für eine
Sterilisation zugrunde legte, waren:

  1. Angeborener Schwachsinn« (555), davon 167 männlich und 388 weiblich
  2. »Schizophrenie/Irresein« (95), davon 54 männlich und 41weiblich
  3. Epilepsie (73), davon 27 männlich und 46 weiblich
  4. »Moralischer Schwachsinn« (51), davon acht männlich und 43 weiblich
  5. Schwerer Alkoholismus (20), ausschließlich männlich
  6. Kriminalität/»Asozialität« (17), davon acht männlich und neun weiblich
  7. Körperliche Behinderung (17), davon acht männlich und neun weiblich
  8. Manisch-depressives Irresein/jugendliches Irresein (15), davon acht männlich und sieben weiblich

Die meisten Betroffenen wurden aufgrund »angeborenen Schwachsinns« zwangssterilisiert. Die zweithäufigste Diagnose, die zur Sterilisation führte, war Schizophrenie. Zudem wurden über vier Dutzend als »moralisch schwachsinnig« eingestuft, weil sie wechselnde Geschlechtspartner gehabt hätten, sich angeblich »unsittlich verhielten« oder »leicht sexuell erregbar« gewesen seien, darunter 34 Lüneburger Mädchen und Frauen. Hierfür gab es keinerlei Gesetzesgrundlage. Obwohl das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« sogenannte »Asozialität« und »Kriminalität« nicht explizit als Gründe für eine Sterilisation benannte, waren sie in 17 weiteren Lüneburger Fällen die Begründung für Unfruchtbarmachungen.

Unter den körperlich Beeinträchtigten gab es in den Gerichtsverfahren des Lüneburger Erbgesundheitsgerichtes nur einen Fall von Taubheit und einen Fall von Blindheit. Drei Frauen wurden aufgrund einer Fehlstellung der Hüfte bzw. des Beckens operiert und ein Arbeiter aus Artlenburg wurde vorsorglich sterilisiert, weil sein Sohn mit einer Fußmissbildung geboren worden war.

Früher werden in Deutschland viele Menschen über-prüft.
Es wird über-prüft, ob sie gesund sind.
Nur wer gesund ist darf Kinder bekommen.
Über-prüft werden immer:

  • alle Menschen in Anstalten
  • alle Kinder im Kinder-Heim
  • Schüler an einer Förder-Schule oder schlechte Schüler
  • Männer und Frauen die heiraten wollen
  • Soldaten
  • Ehe-Paare die Geld brauchen vom Staat (für die Familie)
  • Eltern die Geld brauchen vom Staat (für die Kinder)
  • Mütter und Väter die nicht verheiratet sind
  • Mütter die Kinder von verschiedenen Vätern haben
  • Menschen die im Gerichts-Gefängnis sind
  • Sinti und Roma (die Nazis sagen: Zigeuner)
  • Opfer von Vergewaltigung oder Miss-Brauch
  • Sex-Arbeiterinnen oder Sex-Arbeiter
  • Obdachlose

Über-prüft werden auch alle mit Familien-Angehörigen, die
Selbst-Mord gemacht haben

  • bestimmte Krankheiten haben
  • Bett-Nässer sind
  • Alkoholiker sind
  • Sex mit Verwandten haben
  • schon lange arbeits-los sind
  • auch unfruchtbar gemacht werden sollen.

Die Nazis sagen: Diese Menschen sind nicht gesund.
Sie sollen keine Kinder haben.
Sie werden unfruchtbar gemacht.

Die Ärzte und Richter meinen:
Über 500 Menschen sind schwach-sinnig.
Fast 100 Menschen sind verrückt.
Fast 75 Menschen haben Anfälle.
Über 50 Menschen verhalten sich nicht ordentlich. 
Sie haben zum Beispiel Sex mit verschiedenen Partnern. 
Obwohl sie nicht verheiratet sind.
20 Menschen trinken oft Alkohol.
17 Menschen sind kriminell.
17 Menschen haben eine körperliche Behinderung. 
Einige können schlecht sehen oder hören.
3 Frauen haben ein schiefes Becken.
Deshalb werden sie unfruchtbar gemacht.
Ein Arbeiter aus Artlenburg wird auch operiert. 
Sein Sohn hat eine Miss-Bildung am Fuß.

 

Thea Marienberg

  • Biografie
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Thea Marienberg wurde am 7. April 1921 geboren. Sie war die Tochter des Fuhrunternehmers Otto Marienberg und dessen Frau Alwine, wohnhaft Am Berge 35. Ottos Bruder Albert war am 10. Juli 1931 wegen seiner kommunistischen Parteizugehörigkeit erschossen worden. Nach der Machtübernahme der NSDAP war Otto Marienberg Mitglied im kommunistischen Widerstand, weshalb er 1934 eine Gefängnisstrafe wegen »Hochverrat« absaß.

1939 lernte Thea ihren zukünftigen Ehemann Erich Harenburg – Unteroffizier im Fliegerhorst Lüneburg – kennen und wurde schwanger. Um heiraten zu können, mussten sich beide zur Bescheinigung der Ehetauglichkeit an das Lüneburger Gesundheitsamt wenden. Aufgrund der politischen Aktivitäten ihres Vaters und angeblichen »Schwachsinns« in der Familie wurde Thea für »eheuntauglich« erklärt, und es wurde ein Verfahren zur Unfruchtbarmachung eingeleitet. Um trotzdem bald heiraten zu können und der Sterilisation zu entgehen, versuchte sie, die Lüneburger Ämter auszutricksen.

Darüber hinaus legte Theas Vater Otto Marienberg eine Beschwerde gegen den Gerichtsbeschluss ein, und ihr Fall ging an die nächsthöhere Instanz. Gleichzeitig ordnete das Gericht einen Anstaltsaufenthalt an, um dort feststellen zu lassen, ob Thea Marienberg »erbkrank« sei. Nachdem Thea am 13. März 1940 eine Tochter zur Welt gebracht hatte, wurde sie am 7. Mai 1940 zusammen mit ihrem Kind in Haus 18 der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg aufgenommen. Dort traf sie auf die Ärztin Clara Schmidt, die der ärztlichen Einschätzung ihres Vorgesetzten und Ärztlichen Direktors Max Bräuner, der zuvor als einer der Richter über Theas Sterilisation geurteilt hatte, nicht widersprach.

Am 10. Dezember 1940 wurden Thea im Städtischen Krankenhaus Lüneburg beide Eileiter entfernt. Danach stimmte Amtsarzt Rohlfing einer Eheschließung zu.

 

Thea Marienberg wird am 7. April 1921 in Lüneburg geboren.
Ihre Eltern sind Otto und Alwine Marienberg.
Otto ist Fuhr-Unternehmer.
Er ist gegen die Nazis.
Darum kommt er 1934 ins Gefängnis.
Ottos Bruder Albert wird 1931 von Nazis erschossen.

1939 verliebt sich Thea in Erich.
Thea wird schwanger.
Thea und Erich wollen heiraten.
Sie stellen einen Antrag beim Gesundheits-Amt.
Sie brauchen eine Erlaubnis.
Die brauchen jetzt alle in Deutschland die heiraten wollen.

Thea bekommt die Erlaubnis nicht.
Das Lüneburger Gesundheits-Amt sagt:
Viele in der Familie sind schwach-sinnig.
Sie sind gegen die Nazis.
Sie sind gegen uns.
Wer gegen uns ist soll nicht heiraten.
Und keine Kinder bekommen.

Thea darf nicht heiraten.
Sie soll auch keine Kinder bekommen.
Das Lüneburger Gesundheits-Amt entscheidet:
Thea soll sterilisiert werden.

Thea ist schlau.
Sie geht zu einem Gesundheits-Amt nach Hamburg.
Dort will sie ihre Heirats-Erlaubnis.
Das Gesundheits-Amt in Hamburg sagt:
Thea ist nicht schwach-sinnig. Sie darf heiraten.

Aber Thea wohnt in Lüneburg.
Darum bestimmt das Amt in Lüneburg.

Theas Vater Otto beschwert sich.
Auch Erich beschwert sich.
Er will mit Thea zusammen mehr Kinder bekommen.
Er ist Soldat.
Aber seine Beschwerde hat auch keinen Erfolg.
Am 10. Dezember 1940 wird Thea im Lüneburger Kranken-Haus sterilisiert.

Erst danach darf Thea heiraten.
Thea und Erich heiraten am 28. Februar 1941.
Sie haben eine Tochter.
Aber sie können keine weiteren Kinder bekommen.
Am 6. April 1988 stirbt Thea Marienberg in Hamburg.
Einen Tag vor ihrem 67. Geburtstag.

Auch andere Familien-Mitglieder von Thea werden angezeigt.
Theas jüngerer Bruder Heinz soll auch sterilisiert werden.
Aber er wird schon mit 16 Jahren Soldat.
Darum wird er nicht operiert.

Theas ältere Schwester Herta ist schon verheiratet.
Sie soll aber auch noch einmal untersucht werden.
Theas jüngste Schwester ist noch zu jung.
Sie wird erst im Jahr 1936 geboren.
Darum wird sie nicht unfruchtbar gemacht.

Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes Lüneburg [Auszug] über Thea Marienberg vom 27.2.1940

Schreiben des Gesundheitsamtes Hamburg an das Gesundheitsamt Lüneburg über Thea Marienberg vom 27.2.1940

Das ist das Urteil vom Erb-Gesundheits-Gericht Lüneburg.
Darin steht: Thea Marienberg ist erb-krank.
Sie soll sterilisiert werden.
Das Urteil ist vom 27. Februar 1940.

Das zweite ist ein Brief vom Gesundheits-Amt Hamburg.
An das Gesundheits-Amt Lüneburg.
Darin steht:
Thea ist nicht schwach-sinnig.
Sie darf heiraten.
Der Brief ist auch vom 27. Februar 1940.

Das ist ein Brief vom Gesundheits-Amt Lüneburg.
Von dem Arzt Hans Rohlfing.
An Thea Marienberg.
Darin steht:
Erich hat sich beschwert.
Er will nicht, dass Thea operiert wird.
In drei Wochen soll es eine Antwort auf die Beschwerde geben.
So lange wird Thea nicht operiert.
Der Brief ist vom 23. September 1940.

Ärztlicher Bericht des Städtischen Krankenhauses Lüneburg über die Sterilisation von Thea Marienberg vom 2.1.1941

Das ist ein Arzt-Bericht vom Kranken-Haus in Lüneburg.
Darin steht:
Thea Marienberg wurde am 10. Dezember 1940 operiert.
Es wurden beide Eier-Stöcke entnommen.
Der Bericht ist vom 2. Januar 1941.

Hochzeitsfoto von Thea und Erich Harenburg vom 28.2.1941

Das ist ein Hochzeits-Foto von Thea und Erich.
Das war am 28. Februar 1941.
6 Wochen nach ihrer Sterilisation.

Während ihres laufenden

Gerichtsverfahrens beim Erbgesundheitsgericht ging sie zum Gesundheitsamt Hamburg, um sich dort die Ehetauglichkeit bescheinigen zu lassen. Am 27. Februar 1940, demselben Tag, an dem das Lüneburger Erbgesundheitsgericht das Urteil über ihre Zwangssterilisation fällte, kam das Hamburger Gesundheitsamt zum gegenteiligen Ergebnis: »Schwachsinn wurde hier nicht festgestellt und daher das Gesundheitszeugnis ausgestellt.« Damit stand der Eheschließung nichts mehr im Wege.

Weil Thea aber in Lüneburg gemeldet war und die Hamburger Behörde die Lüneburger Amtskollegen über das Zeugnis informierte, flog alles auf, und das Hamburger Zeugnis wurde für ungültig erklärt.

Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes Lüneburg [Auszug] über Thea Marienberg vom 27.2.1940. NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 208. | Schreiben des Gesundheitsamtes Hamburg an das Gesundheitsamt Lüneburg über Thea Marienberg vom 27.2.1940. NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 208.

Das ist das Urteil vom Erb-Gesundheits-Gericht Lüneburg.
Darin steht: Thea Marienberg ist erb-krank.
Sie soll sterilisiert werden.
Das Urteil ist vom 27. Februar 1940.

Das zweite ist ein Brief vom Gesundheits-Amt Hamburg.
An das Gesundheits-Amt Lüneburg.
Darin steht:
Thea ist nicht schwach-sinnig.
Sie darf heiraten.
Der Brief ist auch vom 27. Februar 1940.

 

Auch Erich Harenburgs Versuch

die Operation seiner zukünftigen Frau durch eine Eingabe bei der Kanzlei des Führers zu verhindern, blieb erfolglos.

Schreiben des Gesundheitsamtes Lüneburg, Hans Rohlfing, an Thea Marienberg vom 23.9.1940.
NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 208.

Das ist ein Brief vom Gesundheits-Amt Lüneburg.
Von dem Arzt Hans Rohlfing.
An Thea Marienberg.
Darin steht:
Erich hat sich beschwert.
Er will nicht, dass Thea operiert wird.
In drei Wochen soll es eine Antwort auf die Beschwerde geben.
So lange wird Thea nicht operiert.
Der Brief ist vom 23. September 1940.

Durch das Sterilisationsverfahren

gerieten weitere Familienmitglieder von Thea Marienberg ins Visier der Gesundheitsbehörden. Ihr fünf Jahre jüngerer Bruder Heinz wurde bereits am 2. Februar 1940, dem Tag der ersten mündlichen Verhandlung, vom Gesundheitsamt Lüneburg für eine Sterilisation angezeigt. Da er sich zwei Jahre später im Alter von 16 Jahren freiwillig zur Front meldete, entging er weiterer Verfolgung. Hertha Bergmann, Theas ältere Schwester, war bereits verheiratet und dafür auf Ehetauglichkeit »ohne erbkranken Befund« untersucht worden. Dennoch übersandte Rohlfing dem für sie zuständigen Gesundheitsamt für eine Wiederaufnahme eine Kopie der Akte. Waltraut, die jüngste Schwester von Thea, entging der erbbiologischen Erfassung und Verfolgung altersbedingt. Sie war erst 1936 zur Welt gekommen.

Ärztlicher Bericht des Städtischen Krankenhauses Lüneburg über die Sterilisation von Thea Marienberg vom 2.1.1941. NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 208.

Das ist ein Arzt-Bericht vom Kranken-Haus in Lüneburg.
Darin steht:
Thea Marienberg wurde am 10. Dezember 1940 operiert.
Es wurden beide Eier-Stöcke entnommen.
Der Bericht ist vom 2. Januar 1941.

Thea Marienberg

und Erich Harenburg heirateten sechs Wochen nach ihrer Sterilisation am 28. Februar 1941. Thea starb einen Tag vor ihrem 67. Geburtstag am 6. April 1988 in Hamburg.

Hochzeitsfoto von Thea und Erich Harenburg vom 28.2.1941. Privatbesitz Uwe Marienberg.

Das ist ein Hochzeits-Foto von Thea und Erich.
Das war am 28. Februar 1941.
6 Wochen nach ihrer Sterilisation.

Paul Hausen

  • Biografie
  • Leichte Sprache
  • Audio

Paul Hausen wurde am 27. Juni 1917 in Lüneburg geboren. Im Alter von 17 Jahren soll er sich sexuell an einem jüngeren Mädchen versucht habe. Wegen sogenanntem »abnormen Sexualtrieb« kam er daraufhin in das Erziehungsheim Gut Kronsberg bei Hannover-Wülfel. Von dort wurde 1938 das Verfahren zur Zwangssterilisation eingeleitet.

Am 28. Mai 1938 beschloss das Erbgesundheitsgericht Lüneburg über Paul Hausens Sterilisation. Nur einen Monat später, drei Tage vor seinem 21. Geburtstag, erfolgte zudem die Aufnahme in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg. Wegen angeblichen »angeborenen Schwachsinns« und »Sittlichkeitsverbrechen« wurde er nach dem »Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung« vom 24. November 1933 (»Gewohnheitsverbrechergesetz«) fortan als sogenannter »Sittlichkeitsverbrecher« in der Lüneburger Anstalt sicherheitsverwahrt.

Diese Unterbringung verhinderte jedoch keineswegs die Sterilisation. Im Gegenteil. Das »Gewohnheitsverbrechergesetz« bot in §§ 42a die Möglichkeit der Zwangskastration. Durch die Entfernung von Geschlechtsorganen ging diese Operation weit über die Zwangssterilisation hinaus. Sie fand auch bei Paul Hausen Anwendung. Er wurde deshalb nicht im Städtischen Krankenhaus Lüneburg operiert, sondern am 30. März 1939 im Henriettenstift in Hannover. Hierbei verstümmelten die Ärzte seine Geschlechtsorgane.
Im Zeitraum 1939 bis zu seiner Verlegung nach Herborn bekam Paul Hausen zusätzlich die Diagnose »Schizophrenie« gestellt. Ob die »Schizophrenie« erst durch die Zwangskastration ausgelöst wurde bzw. Folge der Totaloperation war oder doch eher einer davon unabhängigen Symptomatik entsprach, kann nicht mehr nachvollzogen werden. Auch ist nicht klar, ob sie im Fall von Paul Hausen tatsächlich vorgelegen hat. Die Diagnose »Schizophrenie« kombiniert mit seiner Sicherheitsverwahrung war jedoch ausschlaggebend dafür, dass Paul Hausen in der sogenannten »Aktion T4« ermordet wurde. Paul Hausen wurde nur 23 Jahre alt.

Paul Hausen ist am 27. Juni 1917 geboren.
Mit 17 Jahren will er Sex haben.
Das Mädchen ist jünger.
Und sie will kein Sex mit ihm haben.
Das kommt heraus.

Zur Strafe kommt Paul in ein Heim in Hannover.
Und er soll unfruchtbar gemacht werden.
Ärzte denken:
Er ist gefährlich.

Sie denken:
Er ist ein Verbrecher.
Weil er mit einem jüngeren Mädchen Sex haben wollte.

Das Gericht entscheidet:
Pauls Penis und seine Hoden müssen weg.
Dann kann er auch keinen Sex mehr haben.
Außerdem muss Paul in eine Anstalt.
Er darf nie wieder raus.
Es ist wie ein Gefängnis.

Paul wird operiert.
Man nimmt ihm den Penis und die Hoden ab.
Er wird darüber sehr traurig.
Er wird davon krank.

Paul ist schon drei Jahre in der Anstalt.
Nun bekommt er die Diagnose:
Realitäts-Verlust.
Das heißt:
Er findet sich nicht mehr zurecht.

Alle mit dieser Erkrankung sollen ermordet werden.
Auch Paul wird ermordet.
Er stirbt mit 23 Jahren.

Mit rund 120 anderen

männlichen Patienten wurde er am 23. April 1941 in die Durchgangsanstalt Herborn und von dort in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt und starb dort in der Gaskammer einen qualvollen Erstickungstod.

Foto von Paul Hausen auf seinem Charakteristik-Bogen, ca. 1938. NLA Hannover 155 Lüneburg Acc. 2004/066 Nr. 7888.

Paul Hausen wird mit 120 anderen Patienten in eine andere Anstalt gebracht.
Von dort geht es in eine Tötungs-Anstalt.
Dort wird er mit Gas ermordet.
Das ist im Jahr 1941.

Zusatzmaterial

Rassen
Menschen werden in Gruppen eingeteilt. Zum Beispiel weil sie eine andere Hautfarbe haben. Oder eine andere Augenform. Eigentlich sind aber alle Menschen gleich.
Eugenik
Die guten Rassen und gesunden Menschen sollen sich vermehren. Nur sie sollen Kinder bekommen. Die schlechten Rassen und die kranken Menschen sollen keine Kinder bekommen. Sie sollen aussterben. Das nennt man Eugenik. Oder Rassen-Hygiene.
Sterilisation
bedeutet unfruchtbar machen
Nach der Operation kann der Mensch keine Kinder mehr bekommen.
Zwangs-Sterilisation
Die Menschen werden nicht gefragt, ob sie unfruchtbar gemacht werden wollen. Jemand Anderes entscheidet das.
Erb-Krankheit
Die Krankheit entsteht im Körper des Menschen und kann an seine Kinder weitergegeben werden.
unfruchtbar
Früher nannte man das Kind im Bauch der Frau eine Frucht. Wenn man kein Kind bekommen kann, ist man unfruchtbar.
Richter
Der Richter entscheidet bei einem Streit, wer etwas machen soll oder nicht machen darf. Man sagt: Er fällt ein Urteil. Zum Beispiel ob jemand unfruchtbar gemacht werden soll.
Alkoholiker
Der Mensch hat eine seelische Krankheit. Es geht ihm schlecht, wenn er keinen Alkohol trinken kann.
Akten
Alle Briefe, Arztberichte, Urteile werden in einer Mappe gesammelt. Das ist eine Akte.
Urteil
Das Gericht entscheidet. Zum Beispiel ob jemand unfruchtbar gemacht werden soll. Die Entscheidung heißt Urteil.
Konzentrations-Lager
Die Nazis sperrten viele Menschen ein. Sie mussten dann für die Nazis arbeiten. Es ging ihnen dort sehr schlecht. Sie bekamen nur wenig zu essen. Viele Menschen starben vor Hunger. Oder weil sie krank wurden. Wenn sie krank waren oder zu schwach wurden sie ermordet.
Sinti und Roma
Die Nazis sagten zu ihnen Zigeuner. Weil sie nicht immer am selben Ort gewohnt haben. Die Nazis haben viele von diesen Menschen ermordet.
Vergewaltigung
Jemand hat gegen den Willen des Menschen Sex mit ihm. Das ist Gewalt. Es ist nicht erlaubt.
Miss-Brauch
bedeutet sexuelle Gewalt gegen andere Menschen
Obdach-Lose
Manche Menschen haben keine Wohnung und kein Haus. Sie leben im Freien. Sie schlafen unter Brücken oder in Parks.
Eier-Stöcke
Frauen haben Eier-Stöcke als Geschlechts-Organe. Hier wachsen Eier. Aus ihnen können Kinder entstehen, wenn die Spermien des Mannes dazu kommen.
Ein-Spruch
Manche Menschen wehren sich gegen das Urteil. Sie sagen: Nein. Dann gibt es eine neue Verhandlung.
Verlobte
Zwei Menschen wollen heiraten. Wenn sie das bekannt geben, sind sie einander versprochen.
befördern
Man bekommt einen besseren Job. Zum Beispiel kann man mehr mitbestimmen. Und man bekommt mehr Geld.
Abtreibung
Eine Frau hat ein Baby im Bauch. Aber sie will oder darf es nicht bekommen. Dann wird das Baby aus dem Bauch entfernt. Es stirbt dabei.
Fehl-Geburt
Eine Frau hat ein Baby im Bauch. Es stirbt aber noch im Bauch der Frau. Es wird dann tot geboren.
asozial
Jemand benimmt sich anders als andere Menschen. Das finden die anderen Menschen nicht gut. Sie sagen: Du bist anders. Das darf nicht sein.
Marine
Soldaten, die auf dem Wasser eingesetzt werden, sind bei der Marine.
Entschädigung
Wieder-Gut-Machung zum Beispiel mit Geld
Armen-Haus
Hier wohnen Menschen, die sich keine eigene Wohnung leisten können.