Geschichte Raum geben

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Dem Erbgesundheitsgericht saßen neben dem Amtsrichter zwei medizinische Richter vor. Bei den medizinischen Richtern handelte es sich immer um einen niedergelassenen Haus- oder Nervenarzt sowie einen verbeamteten Arzt. Der verbeamtete Arzt war entweder Amtsarzt oder Anstaltsarzt. Es wurde darauf geachtet, dass die Personen, die das medizinische Gutachten erstellten und das richterliche Amt ausübten, nicht identisch waren.

So kam es beim Lüneburger Erbgesundheitsgericht vor, dass immer dann der Leiter des Gesundheitsamtes (Hans Rohlfing) das Richteramt vom Anstaltsdirektor (Max Bräuner) übernahm, wenn das Gutachten durch einen Mediziner der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg erstellt worden war, etwa durch die Ärzte Baumert, Bräuner, Marx, Redepenning, Winninghoff oder die Ärztin Schmidt. Bei Bedarf wurden Rohlfing und Bräuner von einem Uelzener Kollegen (Sander) vertreten.


Bis 1940 war nahezu ausschließlich Amtsrichter Edzard Stölting der amtsgerichtliche Vorsitzende. Er wurde abgelöst von Börner und Jahn. Die Richter Severin und van Lessen vertraten hin und wieder. Oft saßen auch die niedergelassenen Ärzte Dressler und Vosgerau dem Erbgesundheitsgericht vor. Sie wurden von Bergmann (1940) und Cropp (1944) vertreten.

Am Erb-Gesundheits-Gericht gibt es immer 3 Richter.
Der erste Richter ist ein Rechts-Gelehrter.
Die anderen beiden Richter sind Ärzte.
Ein Arzt hat immer eine Arzt-Praxis.
Der andere Arzt arbeitet immer in einem Kranken-Haus.
Oder im Gesundheits-Amt.

Bis zum Jahr 1940 ist Edzard Stölting der Richter.
Danach sind es andere.
Die Ärzte am Gericht sind Haus-Ärzte.
Und Nerven-Ärzte.
Sie sind in der Stadt bekannt.
Viele Lüneburger sind ihre Patientinnen und Patienten.

Meistens ist auch immer der Anstalts-Direktor als Richter dabei.
Der Amts-Arzt vertritt ihn wenn er keine Zeit hat.

Edzard Stölting

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Im Jahr 1930 trat Edzard Stölting die Stelle eines Amtsgerichtsrates beim Landgericht Lüneburg an. Nach Inkrafttreten des »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« am 1. Januar 1934 tat sich Stölting insbesondere als leitender Richter des Lüneburger Erbgesundheitsgerichts hervor. Dem »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« stand Stölting rechtspositivistisch gegenüber und teilte das dem Gesetz zugrundeliegende, politisch deutlich eingefärbte nationalsozialistische Gedankengut.

Edzard Stölting saß einem Großteil der gerichtlichen Verfahren über eine Unfruchtbarmachung richterlich vor und traf als Vorsitzender die Mehrzahl der Urteile. Von den belegten über 800 Fällen entschied Stölting bis zum 1. Januar 1940 mindestens 516. Er lehnte mindestens 64 Zwangssterilisationen ab. Gegen diese richterlichen Entscheidungen Stöltings sind zwölf Einsprüche durch den Leiter des Staatlichen Gesundheitsamtes Lüneburg belegt. Sechs davon waren in der nächsthöheren Gerichtsinstanz erfolgreich, Stöltings Urteil über die Ablehnung einer Zwangssterilisation wurde in diesen Fällen als »zu milde« abgelehnt.

Stöltings richterliche Arbeit am Erbgesundheitsgericht Lüneburg endete mit seinem Einberufungsbescheid vom 8. Januar 1940. Er wurde Richter beim Heeresgericht, ab 1941 bei verschiedenen Kriegsgerichten, u. a. an der Ostfront und in den Niederlanden. Dort wurde er am 16. April 1945 festgenommen und kam in Kriegsgefangenschaft.

Im Mai 1946 wurde das Privathaus der Stöltings in der Egersdorffstraße 4 beschlagnahmt und die Familie aus Lüneburg ausgewiesen. Im Zuge der Entnazifizierung wurde Stölting zunächst als »Belasteter« in Kategorie II eingestuft. Durch Widersprüche erreichte er eine Neueinstufung in Kategorie IV »Mitläufer«. Am 23. August 1950 bestätigte der Niedersächsische Justizminister Stöltings damalige Beförderung zum Amtsgerichtsdirektor, akzeptierte seine dauerhafte Dienstunfähigkeit und ordnete die Versetzung in den Ruhestand unter Erhalt des vollen Pensionsanspruchs an.

Edzard Stölting und seine Frau verlebten ihren Lebensabend in Eimbeckhausen. Er starb am 25. September 1960 in Hameln. Wiederaufnahmeverfahren Anfang der 1950er-Jahre bestätigten in der Regel die Beschlüsse des Erbgesundheitsgerichtes, sodass Stölting bis zu seinem Tod nie für sein Wirken am Lüneburger Erbgesundheitsgericht belangt wurde.

Thea hat zwei Cousins.
Karl und Georg Marienberg.
Es geht ihnen wie Thea.
Sie werden beide sterilisiert.

Karl möchte 1938 heiraten.
Er stellt einen Antrag beim Gesundheits-Amt.
Er braucht eine Erlaubnis.
Das Gesundheits-Amt sagt Nein.
Weil Karl aus der Familie Marienberg kommt.
Die Familie ist gegen die Nazis.

Erst sagt das Erb-Gesundheits-Gericht Lüneburg:
Karl soll nicht sterilisiert werden.
Aber ein Arzt vom Gesundheits-Amt beschwert sich.
Das Erb-Gesundheits-Gericht sagt dann doch:
Karl soll sterilisiert werden.

Am 18. November 1938 wird Karl operiert.
Im Lüneburger Kranken-Haus.
Am 13. Juni 1941 stirbt Karl.
Er hat eine schwere Lungen-Krankheit.

Karls Bruder Georg wird am 26. Juni 1938 angezeigt.
Beim Erb-Gesundheits-Gericht Lüneburg.
8 Wochen nach Karl wird Georg operiert.

2 Jahre später will Georg heiraten.
Das Gesundheits-Amt sagt Nein.
Georg beschwert sich.
Er darf dann doch heiraten.
Aber er kann keine Kinder mehr bekommen.

1951 ist der Krieg sechs Jahre vorbei.
Die Nazis bestimmen nicht mehr.
Georg geht vor Gericht.
Er möchte Schmerzens-Geld.
Und eine Entschuldigung.
Er möchte sein Recht.

Aber das bekommt er nicht.
Es gibt eine Gerichts-Verhandlung.
Der Richter ist Dr. Jahn.
Der war auch schon Richter bei den Nazis.
Er war auch Richter am Erb-Gesundheits-Gericht Lüneburg.

Ein Arzt macht eine Aussage.
Der Arzt ist beim Gesundheits-Amt.
Das war er auch schon bei den Nazis.
Der Richter und der Arzt sagen:
Das Urteil gegen Georg war richtig.
Die Sterilisation war richtig.

Georg Marienberg bekommt sein Recht nicht.
Er bekommt kein Geld.
Und keine Entschuldigung.
Georg stirbt am 7. April 1979.
Er hat keine Kinder.

»Stölting […] arbeitet gewissenhaft, gründlich, sehr fleißig und leistet auf allen amtsrichterlichen Arbeitsgebieten Erfreuliches. […] In den letzten Jahren hat er sich besonders als Erbgesundheitsrichter bewährt. Stölting ist ein vornehmer, gütiger, stets gefälliger und dienstbereiter Mensch. Seine politische Haltung ist einwandfrei, seine Führung vorbildlich.«

Auszug aus einer Beurteilung, 1934.

Edzard Stölting

wurde am 8. Januar 1885 in Stade bei Hamburg geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er jedoch überwiegend auf dem welfischen Rittergut Eimbeckhausen und in Kassel, wo sein Vater ein hohes richterliches Amt innehatte. Edzard Stölting studierte Rechtswissenschaften in Lausanne (Frankreich), Heidelberg und Göttingen. Am 22. September 1913 trat er seine erste Stelle beim Amtsgericht Alfeld an. Er überlebte den Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg nahezu unverletzt. 1919 heiratete Stölting Margarethe Magdalene Bertha Sofie Schaedtler, Tochter eines Hannoveraner Architekten. Im Jahr darauf wurde ihr erstes Kind Edzard junior geboren. Bis 1934 bekamen sie fünf weitere Kinder.

Foto von Edzard Stölting, 1934.
NLA Hannover Hann. 173 Acc. 57/98, Nr. 361/2.

Edzard Stölting wird am 8. Januar 1885 in Stade geboren.
Sein Vater ist Richter.
Edzard Stölting wird auch Richter.
Er studiert Recht.
Im August 1914 zieht er in den 1. Welt-Krieg.
Nach dem 1. Welt-Krieg wird er 1919 Hilfs-Richter.
Und er heiratet seine Frau Margarete.
Das Ehe-Paar hat sechs Kinder.
Das letzte wird im Jahr 1934 geboren.
Das ist ein Foto von Edzard Stölting aus der Zeit.

Auszug

aus dem Verzeichnis der Justizbeamten im höheren Dienst, Ende 1934, Oberlandesgerichtsbezirk Celle, Landgerichtsbezirk Lüneburg.

NLA Hannover Hann. 173 Acc. 57/98 Nr. 361/2.

Das ist ein Blatt aus Edzard Stöltings Dienst-Akte.
Von 1934.
Seine Vor-Gesetzten schreiben über ihn.
Sie sagen:
Edzard Stölting ist ein guter Richter.
Er ist auch ein guter National-Sozialist (Nazi).
Sie sagen:
Edzard Stölting kann befördert werden.

Edzard Stölting

wurde ab 1. Mai 1933 NSDAP-Mitglied und unter der Nummer 2623284 geführt. Im Juni 1933 kam noch die Mitgliedschaft im Reichsbund der Kinderreichen hinzu, im November 1933 die SA-Mitgliedschaft. Am 1. Februar 1934 schloss sich die Mitgliedschaft im Nationalsozialistischen Richterbund an und zwei Monate später trat er der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) bei. 1935 folgten Mitgliedschaften im Reichsbund der Beamten, in der Deutschen Glaubensbewegung und in der Deutschen Jägerschaft. Seine Frau Margarethe stand ihm in nichts nach. Sie war bereits am 1. März 1932 NSDAP-Mitglied geworden, noch bevor die NSDAP in Lüneburg bei der preußischen Landtagswahl klar siegte.

Schreiben der NSDAP an den Oberlandesgerichtspräsidenten Celle vom 17.7.1937. NLA Hannover Hann. 173 Acc. 57/98 Nr. 361/2.

Edzard Stölting und seine Frau sind National-Sozialisten (Nazis).
Sie sind in vielen Nazi-Organisationen Mit-Glied.

Das ist ein Brief von der Nazi-Partei.
An den Präsidenten vom Ober-Land-Gericht in Celle.
In dem Brief steht:
Edzard Stölting ist ein guter Nazi.
Er kann befördert werden.
Der Brief ist vom 17. Juli 1937.

Leumundszeugnis

[4. Absatz von oben:] »Ich sollte möglichst auf Amtsgerichtsdirektor Stölting’s Aktivitäten als Vorsitzender Richter beim Erbgesundheitsgericht Bezug nehmen. Er nahm die Anhörungen vor dem Gericht mit besonderer Sorgfalt und Ruhe vor und nahm besonderen Anteil an den Sorgen und Nöten der Beteiligten. Es war damals für uns alle ein neues Rechtsgebiet und keiner von uns verfügte bis dahin in dieser Hinsicht über praktische Erfahrungen. Ich war immer sehr zufrieden zu sehen, wie diejenigen, die vor Stölting als Richter standen, mit einer Art väterlicher Güte behandelt wurden und wie er jeden Gegenstand mit einer berührenden Aufmerksamkeit versah. Auf sehr kluge Weise verstand er es, die Führung der Anhörungen in der Hand zu halten und sie nicht den Sachverständigen zu übertragen. Diese Gefahr droht immer in diesen Fällen. Er war auch bei diesen Geschehen immer darauf bedacht, dass er bewies ein richterliches Subjekt zu sein, das sich nur auf das Gesetz und auf sein gerichtliches Bewusstsein stütze.«

Leumundszeugnis [Auszug] von Dr. Curt Mangoldt/Certification vom 4.6.1947, Vorder- und Rückseite.
NLA Hannover Hann. 173 Acc. 57/98, Nr. 361/2.

Das ist eine Aussage von Dr. Mangold von 1947.
Der war ein Kollege von Edzard Stölting.
Dr. Mangold will Edzard Stölting helfen.
Damit der nicht bestraft wird.
Für seine Arbeit am Erb-Gesundheits-Gericht.
Das Schreiben ist in englischer Sprache.

Dr. Mangold sagt:
Edzard Stölting war ein guter Richter.
Er war immer sehr freundlich zu den Menschen.
Seine Gerichts-Urteile waren gerecht.

Max Bräuner

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Mit dem Ausscheiden von Dr. Otto Snell, der die Anstalt seit Gründung 1901 geleitete hatte, wurde im April 1924 auch die Position des Stellvertretenden Ärztlichen Direktors neu besetzt. Die Wahl fiel auf Max Bräuner. Nach dreijähriger Probezeit wurde er am 1. April 1927 im Amt bestätigt. Und als Dr. Heinrich Behr in Pension ging, rückte Bräuner nach und wurde am 30. Januar 1936 mit Rückwirkung zum 1. Januar 1936 Ärztlicher Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg.

Ab Inkrafttreten des »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« gehörten die Meldung, die Anzeige und die Beantragung von Unfruchtbarmachungen von vermeintlich »erbkranken« Patientinnen und Patienten seiner Anstalt zu seinem Aufgabengebiet. Stellten die Patientinnen und Patienten eine Selbstanzeige, musste Bräuner diese Anzeige bestätigen. Bei Versäumnis seiner Melde- und Anzeigepflicht drohte ihm ein Bußgeld in Höhe von 150 Reichsmark.

Max Bräuner war auch damit betraut, alle Anstaltsinsassen hinsichtlich der Anwendung des »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« zu begutachten. Davon waren auch Frauen und Männer betroffen, die nur zur Feststellung ihrer sogenannten »Minderwertigkeit« im Laufe ihres Sterilisationsverfahrens in die Anstalt aufgenommen wurden. Die einzige Möglichkeit, die Betroffenen vor der Operation zu bewahren, war die Anordnung einer dauerhaften Unterbringung auf geschlossenen Stationen. Um Überbelegungen und einen Anstieg der Pflegekosten zu vermeiden, zog Bräuner die Unfruchtbarmachung vor.

Bräuner unterstützte die rassenhygienischen Maßnahmen vorbehaltlos. Neben seinen Mitgliedschaften in Parteiorganisationen der NSDAP übernahm er ab 1. April 1938 auch die Kreisleitung des rassenpolitischen Amtes. Er begutachtete hinsichtlich der Feststellung von Ehetauglichkeit oder Gewährung von Kinderbeihilfe und Ehestandsdarlehen.

Gemeinsam mit Dr. Hans Rohlfing schulte er Wohlfahrtsfürsorgerinnen aus dem gesamten Gebiet der Provinz Hannover in der Anwendung des »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«. Durch Vorträge vor dem Naturwissenschaftlichen Verein, vor Ärzten und Juristen, vor Mitgliedern verschiedener NSDAP-Ortsgruppen machte Bräuner Propaganda für die Rassenhygiene und »Euthanasie« und bereitete so den Weg für die später folgende Ermordung seiner Patientinnen und Patienten. In der Regel hatte er darüber hinaus über die Gutachten der Ärzte zu befinden, denen er weisungsbefugt war, wie z. B. Bernhard Winninghoff, Rudolf Redepenning und Clara Schmidt. Dadurch war in Lüneburg keine von der Heil- und Pflegeanstalt unabhängige und keine interessenfreie Gerichtsbarkeit gegeben. Als ärztlicher Richter am Erbgesundheitsgericht war Max Bräuner für mindestens 380 Sterilisationen verantwortlich.

Zu Beginn des sich anschließenden Entnazifizierungsverfahrens wurde Bräuner zunächst in die Kategorie III als »Minderbelasteter« eingestuft. Am 4. November 1949 rutschte er gar in die Kategorie IV (»Mitläufer«). Seine Funktion als Richter am Erbgesundheitsgericht hatte keine Bedeutung. Am 6. Dezember 1949 wurde ihm sogar seine volle Pension zugestanden. Im März 1951 wurde er mit Rückwirkung zum 1. Dezember 1949 ohne Einschränkungen in den Ruhestand versetzt.

Obwohl Bräuner im Jahr 1961 seine Beteiligung an den Zwangssterilisationen und »Euthanasie«-Verbrechen gestanden hatte, wurde er am 3. März 1966 aus gesundheitlichen Gründen außer Verfolgung gesetzt. Wenige Monate später, am 9. Dezember 1966, starb Max Bräuner in Lüneburg. Eineinhalb Jahre nach dem Tod seiner Ehefrau Helene, die bereits am 15. Juli 1965 gestorben war, wurde er im engsten Familienkreis bestattet. Er hinterließ seinen Sohn, dessen Ehefrau Lieselotte und drei Enkelkinder.

Im Jahr 1924 wird Max Bräuner Stell-Vertreter vom Direktor.
1936 wird Max Bräuner Direktor in der Lüneburger Anstalt.
Ab 1934 gibt es ein Gesetz.
Menschen mit Erb-Krankheiten dürfen keine Kinder bekommen.
Max Bräuner soll alle Patienten aus der Anstalt melden.
Die eine Erb-Krankheit haben.
Diese Menschen sollen sterilisiert werden.

Max Bräuner findet das Gesetz gut.
Er ist ein Nazi.
Er ist auch in der Nazi-Partei.
Ab 1934 ist er auch beim Erb-Gesundheits-Gericht Lüneburg.
Dort ist er mit zwei anderen Richtern.
Sie entscheiden dort:
Wer sterilisiert werden soll.
Max Bräuner entscheidet über mindestens 380 Menschen.
Sie werden sterilisiert.

1945 ist der Krieg aus.
Die Engländer bestimmen:
Max Bräuner darf nicht mehr Direktor in der Lüneburger Anstalt sein.
Es wird auch untersucht:
Ist Max Bräuner schuld an der Ermordung von Patienten.
Aber man findet keine Beweise.

Max Bräuner ist jetzt im Ruhe-Stand.
Es wird weiter untersucht.
Ob Max Bräuner ein Nazi war.
Max Bräuner sagt:
Ich habe nur mit-gemacht.
Ich musste das machen.

Die Engländer glauben ihm.
Er bekommt seine volle Pension (Rente).
Er wohnt weiter mit seiner Frau in einem schönen Haus.
Auf dem Gelände der Anstalt.
1956 zieht das Ehe-Paar Bräuner in die Goethe-Straße in Lüneburg.

1961 gibt es wieder Untersuchungen.
Wegen der Morde an Patienten.
Wegen der »Aktion T4«.
Wegen dem Mord an Kindern mit Behinderungen.
Die Haupt-Täter sollen bestraft werden.
Viele Menschen werden noch einmal befragt.
Ehemalige Ärzte und Kranken-Schwestern.
Und Angehörige.

Auch Max Bräuner wird befragt.
Dieses mal macht er eine Aussage.
Über den Mord an den Kindern in der Lüneburger Anstalt.
Er gibt es zu.

Er wird wieder angeklagt.
1962 und 1963 macht er viele Aussagen.
Er erzählt über den Mord an den Kindern und Jugendlichen.
In der Lüneburger Anstalt.

Andere Sachen erzählt er nicht.
Über die »Aktion T4«.
Und dass er Richter war am Erb-Gesundheits-Gericht.
Und dass er schuld ist an den Zwangs-Sterilisationen.
Dazu sagt er nichts.

Aber er gibt den Mord an den Kindern zu.
Er wird nicht bestraft.
Er ist fast 80 Jahre alt.
Und Max Bräuner sagt:
Ich habe ein krankes Herz.
Deshalb sagt das Gericht:
Max Bräuner wird nicht angeklagt.
Am 9. Dezember 1966 stirbt Max Bräuner in Lüneburg.
Da ist er 84 Jahre alt.
Für seine Verbrechen wird er nie bestraft.

Max Bräuner

wurde am 6. September 1882 in Karlsruhe geboren. Er war der Sohn des Postdirektors Karl Bräuner und dessen Frau Anna Bräuner, geb. Jaeckel. Er studierte in München und Göttingen Medizin. Danach trat er am 30. Juli 1908 eine Stelle als Assistenzarzt an. Aus privaten Gründen setzte er seine Assistenz ab dem 21. April 1909 nicht in Göttingen, sondern in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg fort. Er hatte inzwischen seine zukünftige Frau Helene Feddersen kennengelernt. Im Mai 1909 gaben beide ihre Verlobung bekannt. Geheiratet wurde erst zwei Jahre später, nach Ende seiner Assistenzarztzeit und Beförderung zum Abteilungsarzt. Das erste und einzige gemeinsame Kind, Dietz- Jürgen Bräuner, wurde am 5. Mai 1917 geboren.

Foto von Helene Feddersen und Max Bräuner, ca. 1911.
Archiv der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg.

Max Bräuner wird am 6. September 1882 in Karlsruhe geboren.
Der Vater ist Post-Direktor.
Die Familie wohnt dann in Göttingen.
Nach der Schule studiert Max Bräuner Medizin.
Er will Arzt werden.

1907 besteht er seine Prüfung.
Nun ist er Arzt.
1908 ist er Assistenz-Arzt in Göttingen.
Er macht auch ein halbes Jahr Militär-Dienst.

1909 kommt Max Bräuner nach Lüneburg.
Er wird Assistenz-Arzt in der Lüneburger Anstalt.
1911 wird er Abteilungs-Arzt in der Anstalt.
In dem Jahr heiratet er auch seine Frau Helene.
1917 kommt der Sohn Jürgen-Dietz zur Welt.
Das ist ein Foto von Max Bräuner und seiner Frau Helene.
Es ist ungefähr von 1911.
Vielleicht wird das Foto kurz vor der Hochzeit gemacht.

Gruppenfoto

von Max Bräuner und Pflegerinnen-Examenskurs, Abschlussjahrgang 1932.

Archiv der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg.

Das ist ein Gruppen-Foto.
Von Max Bräuner und Kranken-Schwestern aus der Anstalt.
Das Foto ist von 1932.

Nach einer Inspektion

der Anstalt durch den Secret Service der Britischen Militärregierung wurde Bräuner am 24. August 1945 suspendiert. Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelte 1947 bis 1949 gegen ihn und drei Provinzialbeamte aus Hannover wegen Beteiligung/Beihilfe an Mord und »Euthanasie«-Maßnahmen. Weil in einer Stichprobe von 20 Akten keine hieb- und stichfesten Beweise für die Ermordung bzw. Tötung von Patientinnen und Patienten zu finden waren, wurden die Ermittlungen eingestellt.

Bericht an den Secret Service der britischen Militärregierung Lüneburg [Abschrift und Auszug] an den Oberpräsidenten Hannover vom 24.7.1945
Archiv der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg.

Das ist eine Aussage von Max Bräuner.
Vom 24. Juli 1945.
Der Krieg ist aus.
Die Engländer bestimmen jetzt in Lüneburg.
Sie wollen wissen:
Ob Max Bräuner ein Nazi ist.
Und ob er schuld war an der Ermordung von Patienten.

Max Bräuner sagt:
Ich war kein Nazi.
Ich habe nur gemacht was ich machen musste.
Die Nazis haben das bestimmt.
Über die Tötung von Patienten weiß ich nichts.
Max Bräuner sagt:
Ich habe keine Schuld.

 

Protokoll

zur Vernehmung von Max Bräuner, 1948.

NLA Hannover Nds. 171 Lüneburg Nr. 29889.

Das ist ein Bericht.
Darin stehen Max Bräuners Aussagen.
Er erzählt der Militär-Regierung über seine Arbeit in der Nazi-Zeit.
Max Bräuner sagt:
Es gab keinen Mord an Patienten.
Ich habe keine Nazi-Aufgaben übernommen.
Ich bin unschuldig.
Ich habe keine Arbeit und bin arm.
Max Bäuner lügt.
Er versucht ohne Strafe davon zu kommen.

Foto von Max Bräuner ca. 1964.

Archiv der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg.

Das ist ein Foto von Max Bräuner.
Es ist ungefähr von 1964.
Max Bräuner ist ungefähr 82 Jahre.

Schreiben

von Polizeiwachtmeister Plexnies an die Militärregierung Public Safety Branch vom 18.10.1946.

NLA Hannover Nds. 171 Lüneburg Nr. 29889.

Das ist eine Aussage von einem Polizisten.
Vom 18. Oktober 1946.
Er schreibt an die englische Militär-Regierung.
Der Polizist erzählt über Max Bräuner.

Der Polizist schreibt:
Max Bräuner wohnt mit seiner Frau in einer Wohnung.
In einem Haus auf dem Gelände der Anstalt.
Er lebt sehr einsam.
Er arbeitet nicht als Arzt.
Er macht Haus-Arbeit und Garten-Arbeit.
Er versteht sich nicht gut mit seiner Frau.
Einmal sagt Max Bräuner:
Ich bin kein Verbrecher.

 

Entnazifizierungsbeschluss

des Entnazifizierungs-Berufungsausschusses im Regierungsbezirk Lüneburg Spruchausschuss vom 6.12.1949 (rechtskräftig am 20.12.1949), Vorder- und Rückseite.

NLA Hannover Nds. 171 Lüneburg, Nr. 29889.

Das ist ein Beschluss vom 6. Dezember 1949.
In dem Beschluss steht:
Max Bräuner ist kein Nazi-Verbrecher.
Er hat nur mit-gemacht.
Das ist nicht so schlimm.
Er war fast 40 Jahre Arzt in Anstalten.
Da hat er nichts falsch gemacht.

Max Bräuner verdient schon seit vier Jahren kein Geld.
Jetzt ist er arm.
Das ist ungerecht.
Er soll seine volle Pension (Rente) bekommen.

Am 30. November 1961

wurde Max Bräuner als Zeuge in der Voruntersuchung gegen zwei Hauptverantwortliche der »Euthanasie«-Morde befragt. Hierbei gestand er seine Beteiligung am Patientenmord. Daraufhin musste die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Lüneburg die 1949 eingestellten Ermittlungen wieder aufnehmen. In seinen Vernehmungen 1962 und 1963 schilderte er detailliert die in Lüneburg durchgeführten Morde an Kindern und Jugendlichen. Seine Beteiligung an den Eugenik-Maßnahmen als Kreisbeauftragter des rassenpolitischen Amtes sowie als ärztlicher Richter am Erbgesundheitsgericht wurde in diesem Verfahren nicht erwähnt. Genauso blieben seine Beteiligung an der »Aktion T4« sowie seine Verantwortung für »dezentrale Euthanasie« in Lüneburg unbeachtet.

Zeugenaussage [Auszug] von Max Bräuner in der Voruntersuchungssache betreffend Dr. Hans Hefelmann vor dem Landgericht Frankfurt vom 30.11.1961.
Kopien in Archiv der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg, FB 2/6.

Das ist ein Beschluss vom 6. Dezember 1949.
In dem Beschluss steht:
Max Bräuner ist kein Nazi-Verbrecher.
Er hat nur mit-gemacht.
Das ist nicht so schlimm.
Er war fast 40 Jahre Arzt in Anstalten.
Da hat er nichts falsch gemacht.

Max Bräuner verdient schon seit vier Jahren kein Geld.
Jetzt ist er arm.
Das ist ungerecht.
Er soll seine volle Pension (Rente) bekommen.

Zusatzmaterial

Rassen
Menschen werden in Gruppen eingeteilt. Zum Beispiel weil sie eine andere Hautfarbe haben. Oder eine andere Augenform. Eigentlich sind aber alle Menschen gleich.
Eugenik
Die guten Rassen und gesunden Menschen sollen sich vermehren. Nur sie sollen Kinder bekommen. Die schlechten Rassen und die kranken Menschen sollen keine Kinder bekommen. Sie sollen aussterben. Das nennt man Eugenik. Oder Rassen-Hygiene.
Sterilisation
bedeutet unfruchtbar machen
Nach der Operation kann der Mensch keine Kinder mehr bekommen.
Zwangs-Sterilisation
Die Menschen werden nicht gefragt, ob sie unfruchtbar gemacht werden wollen. Jemand Anderes entscheidet das.
Erb-Krankheit
Die Krankheit entsteht im Körper des Menschen und kann an seine Kinder weitergegeben werden.
unfruchtbar
Früher nannte man das Kind im Bauch der Frau eine Frucht. Wenn man kein Kind bekommen kann, ist man unfruchtbar.
Richter
Der Richter entscheidet bei einem Streit, wer etwas machen soll oder nicht machen darf. Man sagt: Er fällt ein Urteil. Zum Beispiel ob jemand unfruchtbar gemacht werden soll.
Alkoholiker
Der Mensch hat eine seelische Krankheit. Es geht ihm schlecht, wenn er keinen Alkohol trinken kann.
Akten
Alle Briefe, Arztberichte, Urteile werden in einer Mappe gesammelt. Das ist eine Akte.
Urteil
Das Gericht entscheidet. Zum Beispiel ob jemand unfruchtbar gemacht werden soll. Die Entscheidung heißt Urteil.
Konzentrations-Lager
Die Nazis sperrten viele Menschen ein. Sie mussten dann für die Nazis arbeiten. Es ging ihnen dort sehr schlecht. Sie bekamen nur wenig zu essen. Viele Menschen starben vor Hunger. Oder weil sie krank wurden. Wenn sie krank waren oder zu schwach wurden sie ermordet.
Sinti und Roma
Die Nazis sagten zu ihnen Zigeuner. Weil sie nicht immer am selben Ort gewohnt haben. Die Nazis haben viele von diesen Menschen ermordet.
Vergewaltigung
Jemand hat gegen den Willen des Menschen Sex mit ihm. Das ist Gewalt. Es ist nicht erlaubt.
Miss-Brauch
bedeutet sexuelle Gewalt gegen andere Menschen
Obdach-Lose
Manche Menschen haben keine Wohnung und kein Haus. Sie leben im Freien. Sie schlafen unter Brücken oder in Parks.
Eier-Stöcke
Frauen haben Eier-Stöcke als Geschlechts-Organe. Hier wachsen Eier. Aus ihnen können Kinder entstehen, wenn die Spermien des Mannes dazu kommen.
Ein-Spruch
Manche Menschen wehren sich gegen das Urteil. Sie sagen: Nein. Dann gibt es eine neue Verhandlung.
Verlobte
Zwei Menschen wollen heiraten. Wenn sie das bekannt geben, sind sie einander versprochen.
befördern
Man bekommt einen besseren Job. Zum Beispiel kann man mehr mitbestimmen. Und man bekommt mehr Geld.
Abtreibung
Eine Frau hat ein Baby im Bauch. Aber sie will oder darf es nicht bekommen. Dann wird das Baby aus dem Bauch entfernt. Es stirbt dabei.
Fehl-Geburt
Eine Frau hat ein Baby im Bauch. Es stirbt aber noch im Bauch der Frau. Es wird dann tot geboren.
asozial
Jemand benimmt sich anders als andere Menschen. Das finden die anderen Menschen nicht gut. Sie sagen: Du bist anders. Das darf nicht sein.
Marine
Soldaten, die auf dem Wasser eingesetzt werden, sind bei der Marine.
Entschädigung
Wieder-Gut-Machung zum Beispiel mit Geld
Armen-Haus
Hier wohnen Menschen, die sich keine eigene Wohnung leisten können.