Geschichte Raum geben

Die Geschwister

Gisela und Hermann Winter

Mithilfe von Mateusz Bak, Carolin Brohm, Svenja Gohr, Paul-Lennert Güds und Marie Rund

  • Geschwister Winter
  • Leichte Sprache
  • Audio

Gisela und Hermann Winter, geboren 1927 und 1929, waren zwei von insgesamt sechs Kindern der Eltern Anna Frieda und Heinrich Ludwig Winter aus Hannover-Döhren. Obwohl Hermann Winter bereits mit einem Jahr laufen und mit eineinhalb Jahren sprechen konnte, wurde er nach der 6. Klasse als »bildungsunfähig« aus der Schule entlassen. Seine Schwester Gisela erkrankte im Alter von zwölf Jahren an Epilepsie.

Beide wurden im März 1941 zum Zweck eines »Heilungsversuches« in die Anstalten der Inneren Mission Rotenburg aufgenommen. Wegen des Verdachts einer Tuberkulose stellte man sie von der Verlegung am 9. und 10. Oktober 1941 zurück. Sie wurden daher erst am 12. Februar 1942 als »Nachzügler« von ihrer älteren Schwester Hertha Winter zur Aufnahme in die Lüneburger »Kinderfachabteilung« gebracht. Gisela kam ins Haus 25, Hermann ins Haus 23.

Gisela und Hermann Winter sind Geschwister.
Sie sind 1927 und 1929 geboren.
Sie haben noch vier weitere Geschwister.
Ihre Eltern sind Anna und Heinrich.
Die Familie kommt aus Hannover.

Hermann hat eine Behinderung.
Er schafft die Schule nicht mehr.
Gisela hat Anfälle.

Sie kommen in eine Anstalt nach Roten-Burg.
Dort sollen sie gesund werden.
Aber sie bekommen eine Lungen-Krankheit.
Das ist im Herbst 1941.
Drei Monate später kommen sie nach Lüneburg.
Sie kommen in die Anstalt.
Ihre Schwester Hertha bringt sie.
In die Kinder-Fach-Abteilung.
Gisela kommt in das Haus fünf-und-zwanzig.
Hermann kommt in das Haus drei-und-zwanzig.
Gisela und Hermann werden getrennt.

Auszug

aus der Krankengeschichte von Hermann Winter, Seite 1.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2004/134 Nr. 2180.

Das ist ein Arzt-Bericht.
Es ist der Bericht über Hermann.

  • Geschwister Winter
  • Leichte Sprache
  • Audio

Sechs Wochen nach der Aufnahme, am 5. April 1942, erhielten die Kinder Besuch von ihrer Mutter. Es war der einzige und letzte Besuch. Da Hermann als »ordentlich«, »willig« und »fleißig« beurteilt wurde, wurde er am 16. April 1942 nach Lemgo in die Stiftung Eben-Ezer verlegt. Diese Verlegung bedeutete zunächst seine Rettung.

Anders erging es seiner Schwester. Sie wurde nur einen Monat später am 14. Mai 1942 ermordet. Vier Tage später wurde sie in einem Sarg für erwachsene Leichname bestattet, da es zum Zeitpunkt ihres Todes wohl keinen Kindersarg gab. Das ist der Grund, weshalb Gisela zu den insgesamt acht Kindern gehört, die nicht auf dem Kindergräberfeld, sondern auf einem Gräberfeld der erwachsenen Patientinnen und Patienten auf dem Anstaltsfriedhof beerdigt wurde.

Am 27. Januar 1944 wurde Hermann Winter in die »Kinderfachabteilung« zurückverlegt. Zum einen hatte er bei einem Beschulungsversuch keine Erfolge erzielt, zum anderen sollte auf diese Weise verhindert werden, dass ein Rettungsversuch der Eltern gelang. Sie hatten versucht, Hermann aus der Pflegefamilie zu entführen, bei der er als Hilfsarbeiter untergebracht war.

Zurück in Lüneburg schien Hermann sich sofort nützlich gemacht zu haben. Abteilungspflegerin Dora Vollbrecht notierte in seiner Krankengeschichte, er sei ein:

Gisela und Hermann bekommen Besuch.
Ihre Mutter besucht sie.
Ein einziges Mal.

Hermann gibt sich Mühe.
Er strengt sich an.
Er will alles richtig machen.
Er wird in eine andere Anstalt verlegt.
Die ist in Lemgo.
Das ist seine Rettung.
Er wird nicht ermordet.

Gisela bleibt in der Anstalt in Lüneburg.
Sie wird ermordet.
Sie stirbt am 14. Mai 1942.
Sie wird auf dem Fried-Hof der Anstalt begraben.
In Lemgo muss Hermann arbeiten.
Er kommt in eine Pflege-Familie.
Da muss er auch schwer arbeiten.

Die Eltern von Hermann finden das nicht gut.
Sie wollen ihn ab-holen.
Sie bekommen keine Erlaubnis.
Also nehmen sie ihn ohne Erlaubnis mit.
Aber sie werden erwischt.

Das darf nicht noch einmal passieren.
Darum kommt Hermann zwei Jahre später zurück.
Er wird von Lemgo nach Lüneburg verlegt.
Er kommt wieder in die Kinder-Fach-Abteilung.
Damit seine Eltern ihn nicht retten können.

Hermann arbeitet auch in der Anstalt in Lüneburg.
Er gibt sich sehr viel Mühe.
Er will nicht ermordet werden.
Das findet die Pflegerin gut.

»charakterlich ordentlicher Junge, der sich bei Hausarbeit und kleinen Handreichungen bewährt«.

Auszug

aus der Krankengeschichte von Hermann Winter, Seite 3.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2004/134 Nr. 2180.

Das ist ein Arzt-Bericht.
Darin steht:
Hermann ist ordentlich.
Hermann ist fleißig.
Hermann hilft sehr viel.
Das rettet sein Leben.
Er wird nicht ermordet.

  • Geschwister Winter
  • Leichte Sprache
  • Audio

Die Eltern ließen nichts unversucht, ihren Sohn zu retten bzw. zurück nach Hause zu holen und beantragten einen dreiwöchigen »Urlaub«. Obwohl laut Akte von Hermann eine »Fluchtgefahr« ausging, wurde der Urlaub genehmigt und am 11. November 1944 verlängert. Er kehrte nie wieder in die »Kinderfachabteilung« zurück.

Die Eltern geben nicht auf.
Sie wollen Hermann wieder haben.
Sie wollen ihn retten.
Sie beantragen einen Urlaub.
Endlich sagt ein Arzt:
Hermann darf Urlaub machen.
Er darf nach Hause.
Er kommt nie wieder zurück in die Anstalt.
Er über-lebt die Kinder-Fach-Abteilung.