Geschichte Raum geben

Die Geschwister

Münzer

Mithilfe von Vera Grothusmann, Louisa Rosenow und Anne ter Horst

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Die gesamte Familie Münzer geriet ins Visier der Rassenhygiene. Von insgesamt neun Geschwistern wurden vier gegen ihren Willen sterilisiert. Maßgeblich war nicht nur ein Romno-Hintergrund, sondern auch, dass es uneheliche Kinder gab und Vorstrafen vorlagen. Die Geschwister Münzer stehen somit für das systematische Vorgehen gegen Familien mit kultureller Differenz.

Die Familie wurde mittels »Sippenfragebögen« und »Sippentafeln« auf »rassenbiologische Reinheit« kontrolliert. Auf der Sippentafel der jüngsten Schwester Charlotte waren »mindestens zwei Fälle einer sittlichen Haltlosigkeit« dokumentiert. Ebenso wurde Kriminalität und »Schwachsinn« vermerkt. Die Anzahl der als »schwachsinnig« gekennzeichneten Familienmitglieder unterschied sich jedoch je nach Sippentafel.

Alle aus der Familie Münzer werden von den Nazis verfolgt.
Von neun Geschwistern werden vier zwangs-sterilisiert.
Ein Grund ist:
Die Familie gehört zu den Roma.
Die Roma werden von den Nazis verfolgt.

Andere Gründe sind:
Manche aus der Familie Münzer haben Kinder,
obwohl sie nicht verheiratet sind.
Manche waren mal im Gefängnis.
Die Nazis sagen:
Die Familie Münzer ist asozial.

Die ganze Familie wird unter-sucht.
Fast jeder hat eine »Sippen-Tafel«.
Eine »Sippe« ist die ganze Familie.
Mit allen Verwandten.
Auf der »Sippen-Tafel« steht alles drauf.
Ob einer in der Familie krank ist.
Oder in einer Anstalt war.
Oder sonst etwas tut, was die Nazis nicht wollen.

Die jüngste Schwester Charlotte hat auch eine »Sippen-Tafel«.
Darauf steht:
Einige in der Familie Münzer sind kriminell.
Andere sind schwach-sinnig.
Manche haben Sex mit verschiedenen Menschen.

Sippentafel

von Charlotte Münzer.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Das ist die Sippen-Tafel von Charlotte Münzer.

Sippentafel

von Ferdinand Münzer.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Das ist die Sippen-Tafel von Ferdinand Münzer.

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Dora Münzers Zwangssterilisation wurde damit begründet, sie habe zwei uneheliche Kinder, sie sei »schwachsinnig« und »asozial«. Obendrein unterstellte man ihr, sie sei eine völlig unfähige Hausfrau mit »minderwertigen Kindern«.

Ihr Bruder Friedrich wurde nach seiner Sterilisation direkt ins Gefängnis entlassen. Er war dem Gesundheitsamt und Erbgesundheitsgericht durch Vorstrafen wegen Unterschlagung und Diebstahl negativ aufgefallen.

Dora Münzer wird zwangs-sterilisiert.
Die Nazis sagen:
Dora hat zwei un-eheliche Kinder.
Sie ist schwach-sinnig und asozial.
Sie ist eine schlechte Haus-Frau.
Ihre Kinder sind minder-wertig.

Doras Bruder Friedrich wird auch zwangs-sterilisiert.
Danach kommt er gleich ins Gefängnis.
Die Nazis sagen:
Friedrich ist kriminell.

Bericht

zum Antrag auf Sterilisation von Charlotte Münzer, ca. 1938.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Das ist ein Arzt-Bericht.
Zur Zwangs-Sterilisation von Charlotte Münzer.
Darin steht:
Viele Mitglieder der Familie Münzer sind asozial.
Auch Charlotte soll sterilisiert werden.
Der Bericht ist aus dem Jahr 1938.

Ärztlicher Bericht

über die Sterilisation von Ferdinand Münzer, 3.2.1941.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Das ist ein Arzt-Bericht.
Der Bericht ist über die Zwangs-Sterilisation von Ferdinand Münzer.
Der Bericht ist aus dem Jahr 1941.

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Albert Münzers Antrag auf Sterilisation wurde in erster Instanz abgelehnt. Seine Intelligenzprüfung ergab keine ausreichenden Defizite. Der Amtsarzt Hans Rohlfing legte Einspruch ein – mit Erfolg. Das Erbgesundheitsobergericht in Celle hob den Lüneburger »Freispruch« auf. Am 25. Oktober 1937 wurde Albert daraufhin ebenfalls sterilisiert. Einzige Begründung war, er stamme aus einer erblich »minderwertigen« Familie.

Zuerst sagt das Gesundheits-Gericht:
Albert Münzer soll nicht zwangs-sterilisiert werden.
Albert Münzer ist nicht dumm.
Aber der Amts-Arzt beschwert sich.
Mit Erfolg.

Albert wird doch sterilisiert.
Als Grund sagt das Gesundheits-Gericht jetzt:
Alberts Familie ist minder-wertig.
Er wird am 25. Oktober 1937 operiert.

Beschluss

des Erbgesundheitsgerichts Lüneburg über die Ablehnung des Sterilisationsantrags über Albert Münzer, 7.10.1936.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Das ist der erste Gerichts-Beschluss.
Er ist vom 7. Oktober 1936.
Das Gesundheits-Gericht entscheidet:
Albert muss nicht sterilisiert werden.

Vermerk

zu Albert Münzer, nach 25.10.1937.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Das ist ein Bericht.
Er steht in einer Akte über Albert Münzer.
Darin steht:
Albert ist kriminell.
Er ist Alkoholiker.
Er ist asozial.
Der Bericht ist aus dem Jahr 1937.

Als Begründung

reichte es bei Albert Münzer aus, dass seine Schwestern mehrere Kinder unehelich geboren hatten. Auch die Entwicklungsverzögerung seines Sohnes Horst wurde als Argument für einen ihm diagnostizierten »angeborenen Schwachsinn« angeführt.

Beschluss des Erbgesundheitsobergerichts Celle, 28.5.1937.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Das ist ein zweiter Gerichts-Beschluss.
Das Gesundheits-Gericht entscheidet:
Albert muss doch sterilisiert werden.
Als Grund sagt das Gesundheits-Gericht:
Alberts Schwestern haben Kinder von verschiedenen Männern.
Und Alberts Sohn Horst hat eine Behinderung.
Die Familie ist schwach-sinnig.

Der Beschluss ist aus dem Jahr 1937.

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Im Gegensatz zu ihrem Bruder Albert, gelang es Charlotte Münzer, das Gericht davon zu überzeugen, dass sie keinen »angeborenen Schwachsinn« habe. Der Antrag auf Sterilisation wurde abgelehnt. Sie wurde nicht sterilisiert.

Auch Charlotte Münzer muss vor Gericht.
Sie sagt:
Ich bin nicht schwach-sinnig.
Das Gericht glaubt ihr.
Charlotte wird nicht zwangs-sterilisiert.

Charlotte Münzer,

Amtsärztliches Gutachten, 8.2.1938.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Das sind Fotos.
Sie sind auf der Akte von Charlotte Münzer.
Sie sind aus dem Jahr 1938.

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Frieda Grass, geborene Münzer, wurde neun Tage vor ihrem Bruder Friedrich zwangssterilisiert.

Frieda wird auch zwangs-sterilisiert.
Neun Tage vor ihrem Bruder Friedrich.

Frieda Münzer,

Amtsärztliches Gutachten, 20.12.1937.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Das sind Fotos.
Sie sind aus der Akte von Frieda Münzer.
Sie sind aus dem Jahr 1937.

Erst nach den Sterilisationen

von Ferdinand Münzer und seiner Verlobten Marie Borsch erhielten beide die Eheerlaubnis.

Ehetauglichkeitszeugnis, 7.8.1941.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Friedrich darf seine Verlobte heiraten.
Aber erst nach der Zwang-Sterilisation.
Das steht in der Ehe-Erlaubnis.
Die Ehe-Erlaubnis ist aus dem Jahr 1941.

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Nach Kriegsende hörte die rassenhygienische Entrechtung nicht auf. Im August 1945 wurde ihm die Ehetauglichkeit wieder abgesprochen und eine zweite Ehe mit Lily G. versagt. Amtsarzt war immer noch Hans Rohlfing, der bereits im Nationalsozialismus seine Sterilisation angezeigt und empfohlen hatte. Auch die Einbeziehung der britischen Militärbehörde sorgte nicht für die erforderliche Heiratserlaubnis.

Im August 1945 will Friedrich noch einmal heiraten.
Aber das darf er nicht.
Der Amts-Arzt verbietet es ihm.
Derselbe Arzt hat vorher entschieden:
Friedrich gehört zwangs-sterilisiert.
Nach der Nazi-Zeit ist er immer noch Amts-Arzt.
Auch die britische Militär-Regierung hilft Friedrich nicht.
Der Krieg ist vorbei.
Aber das Un-Recht hört nicht auf.

Schreiben

des Staatlichen Gesundheitsamtes Lüneburg an die britische Militärregierung vom 11.8.1945.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223

Das ist ein Brief vom Gesundheits-Amt Lüneburg.
Er geht an die britische Militär-Regierung.
Er ist von August 1945.