Geschichte Raum geben

Günter Schulze

und seine Schwester Ursula

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Günter Schulze war nur einen einzigen Monat Patient in der »Kinderfachabteilung« Lüneburg. Er wurde am 10. Juli 1944 aufgenommen, vier Wochen später, am 5. August 1944, wurde er ermordet. Er starb mit sieben Jahren. Sein Vater war zu diesem Zeitpunkt Feldwebel. Seine Mutter sorgte allein für die Kinder. Die siebenköpfige Familie mit schlesischen Wurzeln lebte in Hannover-Langenhagen.

Günter war das vierte Kind von Gertrud Schulze, geborene Dubiel, und Max Schulze, der Tapetendrucker war. Nach Günters Geburt am 1. Oktober 1936 wurde seine Schwester Ursula geboren. Es gab noch drei ältere Geschwister. Die Familie war glücklich, Günter erfuhr Teilhabe und liebevolle Zuwendung. Er war ein fröhliches Kind und bei allen Familienaktivitäten dabei.

Günter ist Patient der Kinder-Fach-Abteilung.
Für vier Wochen.
Er stirbt am 5. August 1944.
Da ist er sieben Jahre alt.

Günter hatt vier Geschwister.
Seine jüngere Schwester ist Ulla.
Seine älteren Geschwister kümmern sich um ihn.
Er ist glücklich.
Er ist immer dabei.

Foto der siebenköpfigen Familie Schulze,

Weihnachten 1938.

Privatbesitz Ursula Heins.

Das ist ein Foto der Familie Schulze.
Sie sind sieben Personen.
Das Foto ist an Weihnachten entstanden.
Es ist aus dem Jahr 1938.

Die Familie

hatte einen Schrebergarten mit Laube, in dem nicht nur Gemüse angebaut, sondern auch die Freizeit verbracht wurde.

Foto von Günter im Arm seiner Mutter, hinter ihm der Vater Max. Seine Schwester Ursula ist das Baby auf dem Arm, ca. Sommer 1938.

Privatbesitz Ursula Heins.

Das ist ein Foto.
Es ist im Garten entstanden.
Die Familie von Günter ist viel im Garten.
Günter ist im Arm seiner Mutter.
Das Baby ist die kleine Schwester Ulla.
Es ist aus dem Jahr 1938.

Gertrud, Ursula, Günter und Max Schulze,

ca. 1943.

Privatbesitz Ursula Heins.

Das ist ein Foto.
Es zeigt:
Günter vorne auf dem Hocker.
Hinter ihm steht Ulla.
Dahinter sind seine Eltern.
Das Foto ist aus dem Jahr 1943.

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Günter war ein sogenanntes »Reichsausschusskind«. Seine Einweisung in die Lüneburger »Kinderfachabteilung« ging vom Gesundheitsamt Hannover-Land aus. Die Hilfsärztin begründete ihren Antrag beim »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« in Berlin mit einem »angeborenen Wasserkopf« und seiner Entwicklungsverzögerung. Hinter der Formulierung »[wir] bitten Sie, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen« verbarg sich die Prüfung und Entscheidung, ob Günter für eine Tötung infrage kam.

Günter hat einen Wasser-Kopf.
Deswegen wird er gemeldet nach Berlin.
Dort entscheiden drei Ärzte:
Günter muss in eine Kinder-Fach-Abteilung.
Obwohl sie Günter gar nicht kennen.
Ohne ihn anzugucken.

Aufnahmeantrag

des Staatlichen Gesundheitsamts Hannover-Land vom 19.5.1944.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 387.

Das ist ein Antrag.
Es ist vom Gesundheits-Amt.
Darin steht:
Günter muss in die Kinder-Fach-Abteilung.
Der Antrag ist von Mai 1944.

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Bereits zwei Wochen später wies der »Reichsausschuss« die Aufnahme an. Der Mutter widerstrebte es, ihr Kind nach Lüneburg zu bringen. Erst sechs Wochen später wurde Günter aufgenommen. Er wurde von seiner Mutter gebracht.

Günter konnte sprechen, seinen Namen nennen, alleine essen und wurde als ruhig und »freundlich«, »willig und folgsam« beschrieben. Nach dem Eintrag »bildungsunfähig« in seiner Krankengeschichte sind nur noch seine letzten elenden Tage dokumentiert. Offiziell wurde die Todesursache »Darmentzündung und Bronchitis« angegeben. Er starb am 5. August 1944, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgelöst durch eine Überdosis eines Betäubungsmittels. Sein Leichnam wurde auf Wunsch der Mutter nicht in Lüneburg bestattet, sondern nach Langenhagen überführt.

Günter kann sprechen.
Er kann alleine essen.
Er kann laufen.
Er ist freundlich und fröhlich.
Aber der Arzt entscheidet trotzdem:
Günter muss sterben.
Weil er nicht zur Schule gehen kann.

Er wird mit einem Medikament ermordet.
Es geht schnell.

Seine Mutter entscheidet:
Die Leiche von Günter darf nicht in Lüneburg bleiben.
Sie muss nach Hannover.
Da wohnt die Familie.

Schreiben

des »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« an das Staatliche Gesundheitsamt Hannover-Land vom 27.5.1944.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 387.

Das ist ein Brief.
Er ist aus Berlin von den Ärzten.
In dem Brief steht:
Günter hat eine Behinderung.
Er muss in die Kinder-Fach-Abteilung.
Da muss er behandelt werden.
Das bedeutet:
Er soll ermordet werden.

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Über ein halbes Jahr später verweigerte Gertrud Schulze Zahlungsaufforderungen, für die Verpflegungskosten ihres ermordeten Sohnes Günter aufzukommen, die ihr seitens der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg in Rechnung gestellt worden waren. Am 17. Oktober 1945 – über ein Jahr nach dem Tod ihres Sohnes – wurden ihr die Kleidungsstücke ihres Sohnes persönlich ausgehändigt.

Die Mutter von Günter ist wütend.
Über den Tod von Günter.
Sie bekommt eine Rechnung.
Sie soll für die Kinder-Fach-Abteilung bezahlen.
Sie sagt:
Nein!
Ich bezahle nicht für den Tod meines Kindes.
Sechs Monate sagt sie: Nein!

Dann ist der Krieg vorbei.
Es vergehen sechs Monate.
Es dauert.
Am Ende bekommt Mutter die Sachen von Günter zurück.
Wenigsten das.

Postkarte

des Landkreises Hannover an die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg vom 1.3.1945.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 387.

Das ist eine Post-Karte.
Sie ist vom Land-Kreis Hannover.
Sie ist an die Mutter von Günter.
Darauf steht:
Sie müssen bezahlen.
Für den Aufenthalt in der Kinder-Fach-Abteilung.