Geschichte Raum geben

Die Geschwister

Addo und Hermann Eisenhauer

Mithilfe von Maya Kerfack, Lena Kruse, Lisa-Marie Piper und Vadhiliya I. Putri

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Adolf (Addo) Eisenhauer wurde am 17. Oktober 1928 in Dietrichsfeld im Kreis Aurich geboren. Sein jüngerer Bruder Hermann Eisenhauer wurde am 18. Juli 1930 geboren. Ihre Mutter Anna Susanna Eisenhauer war zum Zeitpunkt der Aufnahme ihrer beiden Söhne am 28. September 1942 bereits verstorben. Vermutlich wurden die Kinder spätestens nach dem Tod der Mutter durch die Großeltern Charlotte und Wilhelm Eisenhauer aufgezogen. Laut amtsärztlichen Gutachten seien die Kinder auch deswegen aus ihrer gewohnten Umgebung zu nehmen gewesen, weil die Großeltern die Pflege der Kinder aus Altersgründen nicht mehr hätten gewährleisten können.

Addo Eisen-Hauer ist am 17. Oktober 1928 geboren.
Sein Bruder heißt Hermann.
Hermann ist zwei Jahre jünger als Addo.
Der Vater ist un-bekannt.
Ihre Mutter stirbt.
Da sind sie noch Kinder.
Addo und Hermann leben bei ihren Groß-Eltern.
Ein Amts-Arzt entscheidet:
Die Groß-Eltern können nicht auf die Kinder auf-passen.
Sie sind zu alt.
Addo und Hermann müssen in eine Anstalt.
Addo und Hermann müssen in die Kinder-Fach-Abteilung.

Das ist im Jahr 1942.
Addo und Hermann sind 14 und 12 Jahre alt.

»Wir sind die alten Eltern von Addo und Hermann. Bitte geben Sie uns doch bald Nachricht darüber, was sie dort machen. […] Bitte, bitte laß die beiden ihrer Mama und Vater […] schreiben.«

Schreiben

der Großeltern in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg vom 3.11.1942.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 233.

Das ist ein Brief.
Der Brief ist von den Groß-Eltern von Addo und Hermann.
Der Brief ist an die Anstalt in Lüneburg.
Die Groß-Eltern fragen:
Wie geht es Addo?
Wie geht es Hermann?
Sie bitten:
Addo und Hermann sollen zurück schreiben.

Der Ärztliche Direktor Max Bräuner antwortete schroff:

»Sehr geehrte Frau Eisenhauer! Den beiden Jungen Adolf u. Hermann geht es gut, sie fügen sich hier auch ganz recht. Von zu Hause sprechen sie nicht, sie haben auch noch keine Zeichen von Heimweh geboten, was bei ihrem hochgradigen Schwachsinn ja auch weiter nicht verwunderlich ist. Die Sachen sind hier gut angekommen. Heil Hitler!«

Schreiben

des Ärztlichen Direktors an Charlotte Eisenhauer vom 3.11.1942.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 233.

Das ist ein Brief vom Ärztlichen Direktor.
Er antwortet den Groß-Eltern:
Addo und Hermann geht es gut.
Sie haben kein Heim-Weh.

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Addo und Hermann Eisenhauer wurden in Haus 23 untergebracht. Sie blieben zusammen. Bei der ärztlichen Begutachtung während ihres Aufenthaltes ging es weniger um psychiatrische oder medizinische Aspekte als vielmehr immer wieder um Fragen ihrer Arbeitstauglichkeit. Es ging bei den jugendlichen Patientinnen und Patienten in der »Kinderfachabteilung« darum, in sogenannten »Arbeitsversuchen« zu testen, ob sie brauchbar waren.

Addo und Hermann sind im Haus drei-und-zwanzig.
Sie müssen arbeiten.
Der Arzt will wissen:
Schafft Addo seine Arbeit.
Schafft Hermann seine Arbeit.

»Steht den ganzen Tag die Hände in den Hosentaschen in gebeugter Haltung bei seinem Bruder. […] Kann stundenlang dösend auf einer Stelle stehen.« […] »Macht alles falsch, wenn er nicht dauernd kontrolliert wird.« […] »Muß selbst bei den einfachsten Verrichtungen überwacht werden.«

Krankengeschichte Adolf Eisenhauer.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 2004/85 Nr. 1780.

Das ist ein Bericht.
Es ist ein Bericht über Addo.
Es steht in seiner Kranken-Geschichte.

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Addos Versagen in der Arbeitstherapie – er war 15 Jahre alt – kostete ihn letztendlich das Leben. Die letzten Einträge dokumentieren seinen rasanten körperlichen Abbau und seinen elenden Tod. Er starb am 16. März 1944 um 4.30 Uhr morgens. Mit Sicherheit war sein Bruder in seiner Nähe, als er ermordet wurde. Addo Eisenhauer wurde nicht auf dem »Kindergräberfeld« auf dem Anstaltsfriedhof bestattet, sondern in einem Erwachsenengrab, da zum Zeitpunkt seines Todes kein Kindersarg vorrätig war.

Es ist nirgends dokumentiert, wie Hermann die Ermordung des Bruders erlebte und verarbeitete, weshalb und wie es ihm gelang am Leben zu bleiben. Er gehört zu den rund 40 Prozent Kindern und Jugendlichen, die den Aufenthalt in der »Kinderfachabteilung« überlebten. Hermann blieb bis 17. Dezember 1954 Patient der Lüneburger Anstalt. Zu seiner Entlassung in eine Einrichtung nach Haina notierte der entlassende Arzt:

Addo schafft seine Arbeit nicht.
Der Arzt entscheidet:
Addo ist unnütz.
Addo soll nicht mehr leben.

Darum wird Addo ermordet.
Sein Bruder Hermann ist dabei.

Addo stirbt am 16. März 1944.
Da ist er fünf-zehn Jahre alt.

Er wird begraben.
Sein Grab ist auf dem Fried-Hof der Anstalt.
Es ist ein Grab für Erwachsene.

Hermann über-lebt die Kinder-Fach-Abteilung.
Er wird nicht ermordet.
Er bleibt in der Anstalt in Lüneburg.
Auch als der Krieg schon aus ist.

Viele Jahre später kommt er in eine andere Anstalt.
Das ist im Jahr 1954.
Diese zweite Anstalt ist in Haina.
Mehr ist nicht bekannt.

»Er ist unehelich geboren, die Mutter ist tot, der Erzeuger unbekannt. Die Großeltern sollen noch in Dietrichsfeld leben. E. war anfänglich hier auf der Kinderstation und erwies sich als bildungsunfähig imbezill, selten eigensinnig, überwiegend gutartig und heiter. So ist er bis heute geblieben.«

Notiz

vom 14.12.1954 in Krankenakte von Hermann Eisenhauer.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 233.

Das ist eine Nachricht.
Von einem Arzt.
Darin steht:
Hermann hat keine Eltern.
Seine Groß-Eltern leben noch.
Hermann kann nicht zur Schule gehen.
Hermann ist ein guter Mensch.
Er ist fröhlich.

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Am 24. Juni 1964 wurde Hermann Eisenhauer in das Niedersächsische Landeskrankenhaus Göttingen verlegt. Dort starb er im Alter von 42 Jahren am 6. April 1973.

Hermann bleibt zehn Jahre in Haina.
Danach kommt er in die Anstalt nach Göttingen.
Dort stirbt er am 6. April 1973.
Da ist er zwei-und-vierzig Jahre alt.