Geschichte Raum geben

Die Geschwister

Hans, Erika und Margret Buhlrich

Mithilfe von Nilda Cuba Alvarez, Leon Bouraoui, Simone Fehler, Bjarne Lohgard, Dilcan Öncü und Serfinaz Zimmermann

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Hans Buhlrich, geboren am 1. Mai 1932, war das älteste Kind von Johanne Caroline (geborene Hartmann) und Wilhelm Johann Heinrich Buhlrich. Er wuchs bis zu seinem zehnten Lebensjahr bei seinen Eltern auf.

Hans Buhlrich ist am 1. Mai 1932 geboren.
Seine Mutter heißt Johanne.
Sein Vater heißt Wilhelm.
Er ist ihr ältestes Kind.

Hans Buhlrich

am Gartentor in Bremen, 6.9.1934.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Das ist ein Foto.
Auf dem Foto ist Hans.
Er ist zwei und ein halbes Jahr alt.
Er ist im Garten.
Sein Zuhause ist in Bremen.

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Laut Cousin Kurt Homburg habe Hans seinen rechten Arm nicht unter Kontrolle gehabt und im Kopf sei er auch etwas langsamer gewesen.

Am 21. Mai 1936 wurde Hans Schwester Erika Buhlrich, am 3. März 1941 seine Schwester Margret Buhlrich geboren.

Als der Vater in den Kriegsdienst eingezogen wurde, musste Mutter Johanne alles alleine bewältigen. Ihr Neugeborenes war erst ein halbes Jahr alt. Vermutlich aufgrund von Überforderung der Mutter wurde Hans am 20. September 1941 in das staatliche Gertrudenheim eingewiesen.

Hans hat einen lahmen Arm.
Er ist auch langsam im Denken.
Seine Schwestern heißen Erika und Margret.
Sie werden 1936 und 1941 geboren.

Hans kommt in ein Kinder-Heim.
Das ist ein halbes Jahr nach der Geburt von Margret.
Seine Mutter schafft keine drei Kinder.
Sie braucht eine Pause.

 

Hans Buhlrich,

29.3.1936.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Das ist ein Foto.
Auf dem Foto ist Hans.
Er ist 4 Jahre alt.

Hans Buhlrich mit seinem Großvater,

29.3.1936.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Das ist ein Foto.
Auf dem Foto ist Hans.
Der Groß-Vater ist auch zu sehen.
Hans ist 4 Jahre alt.

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Vom Gertrudenheim wurde Hans noch im selben Monat in die Heil- und Pflegeanstalt Kloster Kutzenberg (Oberfranken) verlegt. Dort starb Hans ein Jahr später am 17. Oktober 1942. Die offizielle Todesursache lautete »Herzschwäche«.

Hans hat kein Glück.
Er kommt im Heim an.
Wenige Tage später wird das Heim geräumt.
Alle kommen in ein anderes Kinder-Heim.
Hans kommt nach Kutzen-Berg.
Das neue Heim ist viele Auto-Stunden entfernt von Bremen.
Es ist in Bayern.

Dort stirbt Hans ein Jahr später.
An einer Herz-Schwäche.
Das ist nicht wahr.
Er wurde vermutlich getötet.

Aufnahme-Kartei

zu Hans Buhlrich.

Kopie Friedrich Buhlrich |
Staatsarchiv Bamberg, Rep. K 61, Nr. 6489.

Das ist eine Karte.
Darauf steht:
Hans Buhlrich ist seit September 1941 in Kutzen-Berg.
Im Oktober 1942 ist Hans tot.

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Als Hans Schwester Erika etwa ein Jahr alt war, erkrankte sie an Hirnhautentzündung. Infolgedessen zeigte sich eine Entwicklungsverzögerung. Als Erika fünf Jahre und ihre kleine Schwester sechs Monate alt war, erfuhr sie, dass ihr Bruder ins Gertrudenheim musste. Von da an wuchs sie ohne ihn und nur mit der fünf Jahre jüngeren Schwester Margret auf.

Die Schwester Erika wird krank.
Sie bekommt eine Hirn-Haut-Entzündung.
Da ist sie 1 Jahr alt.
Ihr Gehirn wird beschädigt.
Sie bekommt eine Behinderung.
Als Hans stirbt ist sie 6 Jahre alt.

Erika Buhlrich

auf einer Decke im Garten, ca. 1937.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Das ist ein Foto.
Es ist ein Foto von Erika.
Sie sitzt auf einer Decke.
Sie ist 1 Jahr alt.

Erika Buhlrich

im Alter von einem Jahr im Kinderwagen, ca. 1937.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Das ist ein Foto von Erika.
Sie sitzt in einem Kinder-Wagen.
Hinter ihr steht der Groß-Vater.
Sie sind im Garten.
Erika ist 1 Jahr alt.

Margret half ihrer Mutter.

Hier sieht man sie beim Einsammeln von Äpfeln, die im Spätsommer 1944 geerntet wurden.

Foto von Margret Buhlrich im Garten, Spätsommer 1944.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Das ist ein Foto von Margret.
Sie ist im Garten.
Sie sammelt Äpfel.
Sie ist 3 Jahre alt.

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Als Bremen bombardiert wurde, suchte Johanne mit ihren Mädchen Zuflucht in einem Bunker. Nachbarn fühlten sich von den Mädchen gestört und denunzierten sie. Drei Jahre nachdem bereits ihr Bruder in die Anstalt eingewiesen worden war, wurden am 6. September 1944 auch Erika und Margret Buhlrich als anstaltsbedürftig in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg aufgenommen.

Johanne nutzte die Gelegenheit, um die Ursache für die Verzögerungen und Behinderungen ihrer Kinder zu erfragen. In Briefen bat sie den Ärztlichen Direktor, ihre Kinder dahingehend zu untersuchen. Sie dachte, auch Margret sei verzögert und habe eine Behinderung, dabei hatte sie nur »krumme Beine«.

Auch in Bremen ist Krieg.
Es fallen Bomben.
Die Menschen müssen sich schützen.
Sie müssen in einen besonderen Keller.
Dort werden sie nicht getroffen.
Oder nur ganz selten.

Auch die Mädchen müssen in den Keller.
Ihre Mutter wird beschimpft.
Weil Erika und Margret eine Behinderung haben.
Ihre Mutter muss sie in die Kinder-Fach-Abteilung bringen.
Sie kommen nach Lüneburg.

Die Mutter denkt:
Erika und Margret haben beide eine Behinderung.
Sie fragt den Arzt:
Warum habe ich drei Kinder mit Behinderungen?
Kann ich gesunde Kinder bekommen?

»Wird heute mit ihrer Schwester von der Mutter zur Aufnahme in die Anstalt gebracht.«

Krankengeschichte

von Erika Buhlrich.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 45.

Das ist ein Kranken-Bericht.
Der Bericht ist über Erika.

»Möchte sie auch fragen ob Sie schon festgestellt haben wovon es kommt, das meine beiden Kinder krank sind.«

Schreiben

von Johanne Buhlrich an die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg, 18.9.1944.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 45.

Es ist ein Brief von Johanne Buhlrich.
Sie schreibt an die Anstalt.
Sie will wissen:
Warum sind meine Kinder krank?
Warum haben sie eine Behinderung?
Kann ich Kinder ohne Behinderung bekommen?

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Sie erhielt die Antwort, dass zur Klärung der Ursache Untersuchungen am Gehirn vorgenommen werden müssten, die erst nach dem Tode möglich seien. Beide Schwestern wurden daraufhin im Abstand von wenigen Wochen in der »Kinderfachabteilung« Lüneburg ermordet – erst Erika, dann Margret. Johanne hatte somit ihre drei Kinder in der »Kinder-Euthanasie« verloren.

Die Mutter bekommt eine Antwort.
Der Arzt antwortet:
Das kann ich heraus-finden.
Dafür muss ich das Gehirn unter-suchen.

An das Gehirn kommt man nur wenn man tot ist.
Also werden Erika und Margret ermordet.
Danach sind alle drei Kinder von Johanne Buhlrich tot.

»Was die Verläufe dieser Erkrankungen anbelangt, so läßt sich diese bei Lebzeiten der Kinder nicht nachweisen. Erst nach dem Tode kann eine genaue Untersuchung des Gehirns die Klärung bringen.«

Antwortschreiben

des Ärztlichen Direktors Max Bräuner, 21.9.1944.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 45.

Das ist ein Brief.
Der Brief ist vom Arzt der Anstalt geschrieben.
Er schreibt:
Ich kann Erika und Margret unter-suchen.
Das geht aber erst nach ihrem Tod.

Sterbeurkunde

Erika Buhlrich, 23.11.1944.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Das ist die Sterbe-Urkunde von Erika.
Darin steht:
Erika ist im November 1944 gestorben.
In ihrer Wohnung.
Sie stirbt in der Anstalt.
Das ist ihr letzter Wohn-Sitz.

Sterbeurkunde

Margret Buhlrich, 25.1.1945.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Das ist die Sterbe-Urkunde von Margret.
Darin steht:
Margret ist im November 1944 gestorben.
In ihrer Wohnung.
Sie stirbt in der Anstalt.
Das ist ihr letzter Wohn-Sitz.

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Nach den Gehirn-Sektionen empfahl ihr Dr. Max Bräuner, sie solle besser keine weiteren Kinder bekommen.

Daraufhin adoptierten sie und ihr Ehemann Wilhelm einen Jungen. Friedrich Buhlrich erfuhr erst nach dem Tod seiner Adoptiveltern, dass er drei Geschwister hatte. Er machte sich auf die Suche nach ihrem Schicksal und setzt sich seither für die Aufarbeitung der »Euthanasie«-Verbrechen ein.

Der Arzt nimmt die Gehirne von Erika und Margret.
Die Gehirne werden unter-sucht.
Der Arzt sagt der Mutter:
Bekomme keine weiteren Kinder.

Sie nehmen sich eines anderen Kindes an.
Es ist ein Baby.
Es heißt Friedrich.
Er weiß nichts von seinen ermordeten Geschwistern.
Seine Eltern sterben.
Danach findet er die Sterbe-Urkunden.
Er findet raus:
Es gibt drei Geschwister.
Er will wissen:
Was ist mit ihnen passiert?
Warum sind sie tot?
Er macht sich auf die Suche nach ihnen.
Er findet heraus:
Alle drei Geschwister sind Opfer des Patienten-Mordes.
Sie wurden im National-Sozialismus ermordet.

Seitdem geht er in Schulen.
Er spricht mit Schülern.
Er erzählt die Geschichte seiner Geschwister.
Viele sollen davon erfahren.
Damit so etwas nie wieder passiert.

Friedrich Buhlrich

ist der leibliche Sohn von Irmgard Rosenhagen und Tadäuz Krystchek. Weil sein Vater polnischer Zwangsarbeiter war, wurde seine Mutter gezwungen, ihn zur Adoption freizugeben.

Angehörigen-Gespräch mit Friedrich Buhlrich und Pflegeschülerinnen und Pflegeschülern, 25.6.2014.

ArEGL.

Das ist ein Foto.
Es ist ein Foto von Friedrich.
Er spricht mit Schülern.
Er erzählt ihnen seine Geschichte.
Es ist die Geschichte seiner ermordeten Geschwister.